# 9

Nach all ihren Bemühungen wurde sie endlich belohnt. Unerwartet früh, aber dafür umso erfreulicher: Die Nummer war weg! Keine 326 mehr! Und es bedeutete gleichzeitig, dass sie nicht mehr zum Verkauf stand. Lucia erklärte ihr, dass sie ihren vorherigen Namen Gelasia wieder offiziell tragen dürfe. Zumindest so lange, bis auch Gaius diesen abgesegnet oder aber einen anderen für sie gewählt habe. Gelasia war im Glück, doch ihre Freude über ihre neu und mühsam errungene Stellung sollte nicht lange währen.


DIE SCHLANGE

Eigentlich hatte sie einen nur allzu einfachen Auftrag zu erledigen. Gelasia sollte einen Brief zum Hause Atticus am Hafen bringen. Dieser Brief war für Sergius Atticus bestimmt. Er war einer derjenigen, die erst vor kurzem eine Sklavin aus dem Hause Crispus abgekauft hatten. Vor einigen Tagen bemängelte der Oberste der Händlerkaste, Julius Avonicus, dass angeblich nicht alle Sklavinnen ein Brandzeichen trügen.

Gelasia war erstaunt, wieso sich Avonicus anmaßte, den Sklavinnen des Ludus unter die Röcke zu spicken, um solches hinter dem Rücken von Gaius zu prüfen. Lucia und Tiberia waren natürlich nicht weniger verärgert über einen solchen Vorwurf, da es immerhin die anstehenden Geschäfte ruinieren könnte, und Gelasia wartete deshalb mit einem Einfall auf.

Sie schlug ihren Herrschaften vor, gemäß den Händlergesetzen die eventuell betroffenen Käufer aufzusuchen, sie auf die Garantieleistungen des Hauses Crispus hinzuweisen und ein Angebot zur Nachbesserung der gelieferten Ware zu unterbreiten. Produktionsfehler waren bei der Masse an Waren nun einmal nicht immer auszuschließen, auch nicht in einem so professionellen Betrieb wie dem Hause Crispus. 

Tatsächlich reagierten die meisten Käufer erstaunt, und bis in einem Fall, nämlich der der Sklavin, die aus den Reihen des Hauses Avonicus gekauft wurde, war dieser Mangel an den Waren scheinbar nicht vorgekommen, oder zumindest nicht negativ aufgefallen. Gelasia konnte aber nicht heraus finden, ob es sich vielleicht auch nur um ein Missverständnis gehandelt hatte. Denn einige Käufer empfanden es wohl als ein besonderes Schmankerl, wenn sie eine Prototyp-Ware bekamen, der sie ihren eigenen Stempel aufdrücken konnten.

Nun also stand Gelasia vor den Türen des Hauses Atticus und mangels Anwesenheit des Sergius, nahm Aurora den Brief entgegen. Diese horchte Gelasia genauer aus, wer sie war, und welche Befugnisse sie hatte. Nach wenigen gewechselten Sätzen schlug die zuvor scheinbar freundliche und zuvorkommende Stimmung in eine bedrohliche um, und schnell wurde klar, dass Aurora im Sinn hatte, Gelasia für ihre ganz eigenen Zwecke einzuspannen. Wie eine Jägerin zog sie ihre Fallstricke immer enger, bis sie schließlich ihre sorgsam gewählten Worte dazu nutzte, Gelasia in die Enge zu treiben. Das Angebot bestimme die Nachfrage, und sie, Aurora, würde für die Nachfrage sorgen, so dass Gelasia gar nichts anderes übrig bleiben könne, als das Angebot anzunehmen. 

Auroras Doppelzüngigkeit jagte Gelasia einen gehörigen Schrecken ein. Diese Frau war eine hinterlistige Schlange, die den Umstand ausnutzen wollte, dass Gelasia als Sklavin immer mit dem schlimmsten rechnen musste. Und sie wusste sehr gut, ihr mit verbalen Würgegriffen die Luft zum Atmen zu nehmen. Gelasia wand sich mühevoll aus diesem Gespräch, und schließlich floh sie zurück in den Ludus. Was auch immer diese Aurora Atticus im Schilde führte, es verhieß nichts gutes, und Gelasias neu errungene Stellung war offensichtlich Grund genug gewesen, ausgerechnet sie für ihre zwielichtigen Vorhaben auszuwählen.



DAS VÖGELCHEN

Es war purer Zufall, dass Gelasia nur wenige Tage später erneut auf Aurora Atticus traf, denn diese befand sich unter der Menschenmenge, die unweit des brüllenden Nordmannes Egil versammelt stand. Die Rarii in den höchsten Stellungen lagen nach einem Ehrenduell verletzt im Hospital, und Egil nahm diesen Umstand zum Anlass, sich zu stellen. Doch damit nicht genug, er verspottete öffentlich die Rarii, die so sehr mit sich selbst beschäftigt seien, dass sie sich selbst dezimierten. Es sei daher vonnöten, dass er ihnen die Arbeit abnehme und sich freiwillig stelle. 
Egil stellt sich
Benedicus, der sich inzwischen für Ruhe und Ordnung in der Unterstadt verantwortlich zeichnete, war der mehr oder weniger Glückliche, der Egil abführte. Der Nordmann ließ es sich jedoch nicht nehmen, auch diesem klar zu machen, was er von den Rarii hielt. Würde er ihn anfassen, so Egil, würde das Gefieder von Benedicus Helm durch sämtliche Ritzen dessen Körpers ziehen, und es gäbe Ritzen, die kenne er noch gar nicht. Unglaublich, aber Egil versuchte, ihn vor sich her zu scheuchen, weil er besser sehen können wollte, wo ihn Benedicus' Gefieder kitzeln könne. 

Es musste wirklich eine Schmach gewesen sein. Umso erstaunlicher war das Eilverfahren des Prätors, der Egil zu vier Wochen Wachdienst im Ludus verdonnerte. Der Lohn, den Egil unter anderen Umständen dafür bekommen hätte, würde der Staatskasse zufließen. Entgegen aller Erwartungen verrichtete Egil seinen Sozialdienst jedoch gewissenhafter, als man hätte glauben können. Servius, ein wahrer Bauernlümmel, bekam dies zumindest verbal zu spüren, und wäre nicht Lucia aufgetaucht, die Servius sprechen wollte, hätte Egil ihm wahrscheinlich das Fell über die Ohren gezogen. Immerhin verteidigte Egil keine geringere Ehre als die der Dame des Hauses. Gelasia war über sein Ehrverständnis geradezu positiv überrascht.
Aurora teilt mit, dass sie für die Nachfrage gesorgt habe
Noch am selben Abend überbrachte Kiku, die Sklavin Aurora Atticus', eine Nachricht an Gelasia. Sobald sie bereit sei, solle sie den Magistrat Markus Baratheus aufsuchen und als Stichwort "Vögelchen" mitteilen. Er wisse schon, um was es ginge, denn Kikus Herrin habe Gelasia bei ihm angekündigt, und würde sich dankbar erweisen, sollte sie das großzügige Angebot annehmen. Gelasia war empört über Auroras Unverfrorenheit. Aurora hatte damit gepokert, Gelasias Neugierde zu wecken. Am meisten ärgerte sich Gelasia darüber, dass sie damit genau richtig gelegen hatte. Und somit Recht behalten hatte, dass sie für die Nachfrage sorgen würde. 




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