# 11

Als ob alles bisher Geschehene nicht schon blamabel genug für Gelasia gewesen wäre, setzte der alte Baratheus immer wieder noch einen oben drauf. Brachte sie ins Grübeln durch unlogisch und widersprüchlich scheinende Worte, Handlungen und Gesten. Und immer dann, wenn sie kurz davor war, ihn einfach für einen durch sein hohes Alter schrullig gewordenen Mann oder für ein Arschloch vor den Priesterkönigen zu halten, reizte er sie doch wieder gerade ausreichend genug, um ihre Neugierde zu wecken, ob nicht doch ein anderes Motiv hinter all dem steckte.


Alles begann mit dieser hinterlistigen Drohung von Aurora Atticus und der Botschaft, die sie über ihre Pani Sklavin übermitteln ließ. Gelasia hatte Blut geleckt. Allerdings nicht so, dass sie schnurstracks zu dem alten Baratheus hingegangen wäre, um ihn direkt auf diese seltsame Vögelchen-Geschichte anzusprechen. Stattdessen nutzte sie die Dunkelheit der Nacht, um das Haus Baratheus aufzusuchen, und um etwas heraus zu finden. Was genau dieses "etwas" sein sollte, wusste sie zwar selbst nicht, aber sie wollte etwas heraus finden.

Es kam, wie es kommen musste. Bei ihrem nächtlichen Streifzug ums Haus stolperte sie über eine Amphore, und der Lärm rief ausgerechnet den alten Baratheus auf den Plan. Dieser stellte sie natürlich zu Recht zur Rede, warum sie um sein Haus schlich. Ihre spärliche Ausrede, dass sie nur die Amphore wieder aufrecht stellen wollte, weil diese umzufallen drohte, kaufte er ihr natürlich nicht ab. Ein Wort ergab das andere, und es blieb nicht aus, dass er ihr drohte. Hände abhacken, das wäre wohl noch die harmloseste aller schlimmen Strafen. In die Ecke gedrängt, schleuderte sie ihm entgegen, was man denn mit einem Vögelchen wolle, wenn man doch gar keinen Baum am Hause stehen habe. Vielleicht sorgte genau diese Bemerkung für die ausreichende Verwirrung. So oder so entließ er sie schließlich seinen Fängen, nicht ohne sie darauf hinzuweisen, dass sie sich beweisen müsse, damit er Stillschweigen über diesen Vorfall bewahre.

Am Tag des Gladiatorenkampfes erschien er noch vor dem offiziellen Einlass im Hause Crispus. Gelasia war gerade dabei, das Leintuch am Diwan auszutauschen, als er in der Tür erschien. Selten hatte Gelasia so viele Staubkörner hinter dem Diwan finden können, nur damit er sie nicht sehen könne. Und das, obwohl sie das gute Möbelstück erst am Morgen abgestaubt hatte. 
Der nächste Schrecken ließ nicht lange auf sich warten. Der alte Baratheus bat Lucia darum, dass sie ihm Gelasia als Begleitung für die Zeit der Wettkämpfe zur Verfügung stelle. Er wolle sie näher kennen lernen. Lucia erklärte ihm sofort, dass Gelasia unverkäuflich sei, doch das schien ihn nicht im Geringsten zu stören. Er wolle nur Gelasias Umgang, und dass sie ihm seinen Sitzplatz zeige. Damit folgte der Höhepunkt der absoluten Schmach!

Baratheus bot Gelasia seinen Arm an, als ob er eine Freie geleite. Den ganzen Weg durch die Stadt musste sie ihn so an seiner Seite begleiten! Die Blicke von Lucia und Tiberia im Gedächtnis, wie diese sie angestarrt hatten, als ob sie ein hinterhältiges Luder sei! Es war ihr so peinlich. Der reinste Spießrutenlauf. Und dann musste sie auch noch oben bei den Logeplätzen stehen, ganz vorne, weil Baratheus natürlich nicht irgendwo hinten einen Sitzplatz hatte, nein, sondern in der ersten Reihe, so dass Gelasia die ganze Zeit wie auf dem Präsentierteller vor ganz Victoria stand. Aus Scham wäre sie am liebsten über die Brüstung in die Arena gesprungen.

Doch auch dieser Kelch ging endlich an ihr vorüber, und ganz Victoria schien dann doch mehr damit beschäftigt zu sein, nach den Kämpfen zu feiern. Insbesondere alle Gönner Pavidus waren offenbar mehr als ausgelassen dabei, dessen Sieg zu begießen. Pavidus war immerhin wieder ein freier Mann. Gelasia schlich sich derweil durch die Gassen, war in ihren Gedanken versunken. Plötzlich stand sie auf dem großen Platz vor der Curia. Sie bemerkte einen großen Schatten auf einer der Bänke, und erst nach einer Weile wurde ihr klar, dass es der alte Baratheus war. 

Auf ihren nackten Fußsohlen schlich sie sich von hinten an, um dann die Stille der Nacht mit ihrer Frage zu zerreissen, wieso er ihr diese Demütigung angetan habe. Für sie war es offensichtlich, dass er einfach nur seinen Spaß daran gehabt haben musste, sie bis auf die Knochen zu blamieren. Seine Antwort allerdings hielt sie dann für puren Hohn. Er habe gewollt, dass sie sähe, was es bedeute, zu sterben. Er sei mit an vorderster Front gewesen, habe die blutgetränkten Schlachtfelder gerochen; habe erlebt, dass Frauen und Kinder, als die Piraten kamen, wie Vieh abgeschlachtet worden seien; und nun wollte er ihre Reaktion darauf sehen, wenn ein Mensch lediglich zur Belustigung der Massen sein Leben lassen musste. 

Sie war wütend, so wütend. In dem Moment war es ihr egal, ob er ein Freier, ein Magistrat oder sonst etwas war. Sie konnte sich nicht mehr zurück halten. Was er denn glaube, wer er sei, hatte sie ihn regelrecht angefahren. Ob er glaube, die Sklaven seien alle miteinander so dumm, dass sie nicht wüssten, was der Tod bedeute. Ob ihm nicht bewusst sei, dass ein Sklave vielleicht nicht jeden Tag dem Tod direkt ins Auge blicke, dafür aber jeden Tag um ein Stück Leben kämpfen müsse, um dabei doch innerlich ein klein wenig mehr zu sterben.

Ihren Ausbruch quittierte er mit einem gelassenen Grinsen und wies sie stattdessen an, ihm zu folgen. Ihre Wut hätte kaum einfacher verfliegen können. Denn als er sie hinter die Heiligen Hallen der Ratsversammlung führte, um ihr dort die beengte Bibliothek zu zeigen, war all ihr vorheriger Ärger vergessen, und sie bewunderte die Regale, die über und über mit alten Schriften voll gestopft waren. Was würde sie dafür geben, in all diesen Schriften schmökern zu dürfen! Baratheus erklärte ihr zwar nebenher, dass er an diesen Schriften mitgewirkt habe, aber sie hatte vor lauter Faszination mehr oder weniger auf Durchzug gestellt. Als er sie schließlich wieder hinaus brachte, blieb sie wie auch schon beim Hineingehen in seinem Schatten, denn eine Sklavin an einem solchen Ort, das hätte vermutlich nicht nur seinen Kopf gekostet!
Als sie wieder im Hof vor der Curia standen, lud er sie ein, auf der Bank mit ihm Platz zu nehmen. Seite an Seite starrten sie in den Nachthimmel, während sie sich weiter unterhielten. Sie war kurz davor, doch so etwas wie Vertrauen in ihn zu fassen. Bevor sie den Platz verließen, strich er ihr in einer einfache Geste über das Haar, doch seine Worte zerstörten jäh das zarte Pflänzchen, das in ihr hätte aufkeimen können. Er sagte: "Braves Mädchen." Wie zu einem Kind, das man erziehen musste, das dumm genug war, dass es immer noch die Hilfe eines Erwachsenen benötigte. Der Zauber des Moments war verflogen.

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