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15 Kupfer Fenstersteuer. Das hatte Victoria so wohl auch noch nicht gesehen. Und diese Steuer wurde unabhängig von Stand und Einkommen erhoben. Lomerus war der einzige, der bei der Ratsversammlung Einspruch gegen diesen Vorschlag erhob und sich für die arme Bevölkerung der Unterstadt einsetzte. Doch seine Worte verhallten mehr oder weniger ungehört. 15 Kupfer pro Fenster für den Topf der Kriegsfinanzierung. Wer nicht zahlen könnte oder wollte, musste damit rechnen, sich als Rudersklave auf einem der Flottenschiffe wieder zu finden.
Dunkle Schatten legen sich über Victoria
DIE ERGEBNISSE DER RATSVERSAMMLUNG

Sicher hatte die Stadt selten eine solche Ratsversammlung erlebt. Während die Händlerkaste nicht einmal von einem anderweitigen Abgesandten vertreten wurde, sorgte der Wissende mit haarsträubenden Weissagungen über Tote, die wieder auferstehen, für einiges Unbehagen. Als der Tumult darüber verebbte, konnte endlich die eigentliche Sitzung beginnen, jedoch brachten die angesetzten Tagesordnungspunkte neue Unruhe für die Teilnehmer und Zuhörer. Insbesondere der letzte zur Operation "Kampf gegen die Piraten" erhitzte die Gemüter.

Zunächst gab es einige Veränderungen in der Zusammensetzung des Rates. Weil Erganos Vitruvius aus gesundheitlichen Gründen seine Aufgaben nicht mehr wahrnehmen kann, wurde Lucius Cornelius in das Amt des ersten Baumeisters berufen. Für die Händler wurde Gaius Cripus, Gelasias Herr, als neuer Ratsangehöriger eingesetzt, da Julius Avonicus seit einiger Zeit von einer Reise noch nicht zurück gekehrt war. Über seinen derzeitigen Aufenthaltsort war nichts bekannt. Außerdem fiel die Vormundschaft über Julius' Tochter Callista ebenfalls an Gaius, da er sich als Kastenerster nun um die junge Frau ohne männlichen Familienvertreter zu kümmern hatte. Die Thermen, die Julius einst von der Stadt übertragen bekommen hatte, fielen wieder zurück an Victoria und sollten neu verkauft werden. 

Schließlich hatte die rote Kaste Bericht über die aktuelle Lage der Voskpiraten zu erstatten. Da aber keiner beantworten konnte, ob es nachgewiesenermaßen die Voskpiraten waren, die Sergius und seiner Mannschaft den Tod brachten, noch ob diese immer noch im Vosk auflauerten, während zeitgleich jeder freie Bürger, unabhängig von Stand und Fähigkeiten, als Krieger rekrutiert wurde, erlitten die Scharlachroten einen neuen Dämpfer hinsichtlich ihrer Glaubwürdigkeit. Vom ehemals glänzenden Ruhm der stolzen Krieger war bei dieser Ratssitzung absolut nichts zu sehen. Die rote Kaste habe sich um die Aufstockung ihrer Reihen selbst zu kümmern, jedoch wurde ihnen finanzielle Mittel für die Bereitstellung von Waffen, die Ausrüstung der Schiffe und die Ausbildung neuer Rekruten zugesagt.

Die finanziellen Mittel sollten, so Tasdrons glorreiche Idee, durch eine Fenstersteuer erwirtschaftet werden. Für jedes Fenster seien 15 Kupfer Steuer zu erheben. Für die Steuereintreibung bestimmte Tasdron die blaue Kaste. Dies bedeutete, dass die Schreiber, zu welchen ja auch der Prätor gehörte, auch genauso Handhabe zugestanden bekamen, was sie entschieden, sollte jemand nicht bezahlen können oder wollen. Der Aufschrei bei den Zuhörern über diese ungeheuerliche Belastung war groß. 



WENIG RAT, UND MEHR FRAGEN ALS ANTWORTEN

Gelasia kehrte mehr als verwirrt von der Ratsversammlung zurück. Sie hatte sich Antworten darauf erhofft, mit welchen Argumenten sie weitere freie Bürger überzeugen könnte, für den Heimstein ihren Dienst an der Waffe zu erbringen. Immerhin winkte für jede gewonnene Unterschrift eine Kopfpauschale für das Sklavenhaus. Selbstverständlich nur inoffiziell. Doch stattdessen hatte das Gehörte mehr Fragen in ihr aufgeworfen, als es Antworten hätte geben können.

Was hatte es mit dieser ungeheuren Weissagung auf sich? Wie Tiros Baratheus verlauten ließ, war eine Seebestattung für den gefallenen Sergius Atticus angesetzt. Tiros erwähnte dabei allerdings fast wie eine unwichtige Nebenbemerkung, dass Sergius' Leiche bisher noch nicht gefunden worden sei. Sollte Sergius etwa von den Toten auferstehen? War der Überfall der Piraten nur eine fantastische Geschichte, um aus dem Nichts einen Helden zu präsentieren, der den Piratenangriff überlebt habe? Der Phoenix aus der Asche? Welche Auswirkungen hätte das auf den Aberglauben der Bevölkerung und deren Furcht vor den undurchsichtigen Fähigkeiten der Priesterkönige? 

Gelasia konnte sich genauso wenig erinnern, dass erwähnt worden sei, dass die Stadt Julius Avonicus für die an Victoria zurückgefallenen Thermen entschädige. War das nun ein geschickter Schachzug Tasdrons gewesen, um sich gleich zweimal an den Thermen zu bereichern? Er war immerhin ein Geschäftsmann, auch wenn er jetzt den Sitz des Administrators bekleidete. Der Mammon hatte ihn sicher immer schon in seinem Griff gehabt, was sich durch seinen Aufstieg bestimmt nicht wesentlich verändert hatte.

Durch die Piratenangriffe kamen auch keine Lieferungen mehr in Victoria an, oder aber nur bedingt. Und der erste der Händlerkaste, Julius Avonicus, war verschwunden. Sergius Atticus war für tot erklärt. Doch Totgeglaubte sollten wieder lebendig werden. Gleichzeitig wurde zum Kampf gerüstet gegen einen scheinbar unbekannten Feind, denn ob es die Piraten wirklich waren, wurde ja in Zweifel gezogen. Und all das gipfelte in die finanzielle Belastung durch die Fenstersteuer. Für Gelasia war es das reinste Chaos, das sich darbot. Victoria versank in einem Sumpf von Verstrickungen und Lügengebäuden.

Gelasia versuchte, die Zusammenhänge zu erkennen und zu verstehen. Geschwächt war die Kaste der Krieger, die zudem erklärt bekommen hatte, dass die Priesterkönige ihre Segen für Rekruten aus der Bevölkerung nicht geben, lediglich für alle anderen Aufgaben, die nicht den Dienst an der Waffe beinhalteten. Auch die Kaste der Händler war geschwächt, hatte sie bei der Ratsversammlung ja nicht einmal eine Stimme gehabt. Die Kaste der Schreiber würde sich durch die Steuereintreibung und möglicher Versklavungen bei Zahlungsunfähigkeit den Unmut der Bevölkerung zuziehen. Die Kaste der Baumeister würde sich aufgrund der Kriegsumstände sicherlich durch die Produktion von Katapulten und Erstellung von Bauplänen diverser Kriegsschiffe eine goldene Nase verdienen. Vielleicht ein Grund, wieso sie Tasdron bei ihrer Rückkehr ins Sklavenhaus von weitem im Gespräch mit dem frisch berufenen Lucius gesehen hatte. Die Kaste der Wissenden stand bei all dem aussen vor, und schien ihr eigenes Spielchen zu spielen. Die Heilerkaste ging in den Wirrungen dem Anschein nach einfach mit unter. Über all dem thronte der Administrator, der es nicht für nötig befunden hatte, ein für den Kriegsfall übliches Ubarat zu bestimmen. 

Dann erfuhr Gelasia auch noch, dass es Lucia gelungen war, sich die Hafenmeisterei einzuverleiben. Sie hatte Lucia vor der Ratsversammlung aus der Curia kommen sehen, und kurze Zeit später auch Tasdron. Also musste sie es geschafft haben, Tasdrons Segen dafür zu bekommen. Und dass Lucia gerne ihre weiblichen Reize einsetzte, um so manchen zu überzeugen, hatte Gelasia ja längst schon durch diverse Andeutungen und die hinterlistigen Vorgänge im Ludus mitbekommen. Tasdron war eben auch nur ein Mann. 

Dass Tasdron sich gleichzeitig mit seiner eigenen Kaste besonders gut stellen würde, schien auf der Hand zu liegen. Die Krieger wären immer eine Gefahr für seinen Sitz, und so war - so überlegte Gelasia - Julius vielleicht gar nicht verschwunden, sondern womöglich in Tasdrons Auftrag ausgezogen, um Sergius für ihn aus dem Weg zu schaffen und damit das starke Kriegerhaus Atticus zu schwächen. Und während sich alle über fehlende Lieferungen beklagten, würde vielleicht nicht Sergius, sondern Julius von den Toten wieder auferstehen, und eine Flotte neuester Waren aus aller Welt mit sich bringen, um schließlich wieder siegreich den Sitz des Kastenersten zurück zu ergattern. Dafür wären die verlorenen Thermen sicher einfach zu verschmerzen. Und genauso wäre es auch für Gaius zu verschmerzen, den Sitz wieder zu verlieren, da das Haus Crispus ja nun die Hand auf dem handelsstarken Umschlagplatz im Hafen hatte.

Für Gelasia war klar, dass der eigentliche Kampf nicht auf dem Vosk stattfinden würde. Ein Sieg über die Piraten wäre lediglich eine wohlwollende Auszeichnung für die Kriegerkaste. Ein Trostpflaster nach all der Schmäh, die sie in jüngster Zeit erleiden musste. Der eigentliche Kampf würde aber in Victoria stattfinden. Die sicher geglaubte Ordnung der Kasten war gehörig durcheinander gerüttelt worden, und es war abzusehen, dass sich die jeweiligen Kastenangehörigen früher oder später untereinander zerfleischen würden. Während sich Tasdron wohl eins ins Fäustchen lachen und neue Fäden ziehen würde, weil sie alle mehr mit sich selbst beschäftigt wären, als damit, ein Auge auf ihn zu werfen, ob er sie alle zugunsten der Stadt, oder aber nur zugunsten seiner selbst führte.

Die Ratsversammlung war nur eine Farce gewesen. Die Piratenangriffe nur eine willkommene Ausrede. Es war das perfekte Ablenkungsmanöver, um den Blick auf die stadtinternen, schwelenden Konflikte zu verschleiern. Die Wahl der Volksmagistrate stand schließlich kurz bevor...



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