# 15

Die letzten Tage schienen zunächst ruhig, doch die Gerüchteküche kochte in allen Ecken und Enden Victorias. Nach diversen Vorfällen in den Reihen der roten Kaste und aufkeimendem Zweifel in der Bevölkerung, bei den Hochkastigen wie beim einfachen Volk, ist deren Position offensichtlich so geschwächt, dass es nur eine Frage der Zeit zu sein scheint, wann der erste versuchen wird, seinen Vorteil daraus zu schlagen und sich an die Spitze zu bugsieren. 



NEUE KRIEGER BRAUCHT DIE STADT

Bereits zweimal war Valerius in der Stadt aufgefallen, und die Unbeteiligten wussten die Aktionen - zumindest den Gerüchten nach, die Gelasia bekannt waren - , nicht nachvollziehbar einzuschätzen. Aber man war irritiert genug, um zu glauben, dass sich die Rarii selbst dezimierten. Einmal stach Valerius einen anderen Rarius nieder, Araneus. Das andere Mal duellierte er sich höchst dramatisch mit seinem Neffen Sergius auf dem Platz vor der Curia. Als sie alle verletzt im Hospital lagen, nutzte Egil die Situation aus, um sich selbst zu stellen und die rote Kaste öffentlich zu verhöhnen. 

Danach hörte man ein paar Tage gar nichts von der roten Kaste, und es hieß, dass selbst der Prätor so wenig Vertrauen in die Krieger habe, dass er auf einen privaten Wachmann zurück gegriffen habe. Auch Fauna, die Mutter Lucias, hatte sich wohl einen eigenen Wachmann eingestellt, den Gelasia zusammen mit Shador an einem Morgen mit einigem Erstaunen vor deren Haustür beobachtet hatte.

Als ob das alles nicht bereits genug gewesen wäre, bemerkten Gelasia und Vedius in einer lauen Nacht vor dem Torbogen den Rarius Benendicus, der an ihnen vorbei stiefelte und dabei eine kleine Blutspur hinter sich herzog. Allerdings konnten sie bisher nicht heraus finden, was es damit auf sich hatte. 

Kurze Zeit später, als Gelasia gerade auf dem Weg zum Leuchtturm war, um Egil zu suchen - er glänzte zu diesem Zeitpunkt durch Abwesenheit im Ludus und die Herrschaften waren auch gerade alle unterwegs, weswegen sie vermutete, er würde den Moment nutzen, um sich noch ein paar Habseligkeiten in seinem Unterschlupf abzuholen - , platzte sie geradewegs in einen kleinen Auflauf einiger freien Damen, die einer hitzigen Diskussion zwischen Benendicus und Arreconius lauschten. Da ein Krieger selten seine Meinung flüstert, bekam Gelasia so mit, dass Benendicus deutlich klar machte, dass er einiges ändern wolle, um dafür zu sorgen, dass der roten Kaste endlich wieder der Respekt entgegen gebracht würde, der ihr gebühre.

Während Benendicus in Gelasias Ohren so klang, als ob er durchaus ehrhafte Ansinnen hätte, seiner Kaste mit ritterlich anmutendem Einsatz wieder zu Stolz und Ehre zu verhelfen, trat ein anderer Kastenangehöriger bisher jedoch durch Hinterhältigkeit in Erscheinung. Caius Araneus vom Hause der Aelier. Wie Gelasia von ihren Herrschaften erfahren hatte, sollte Araneus der zukünftige Gefährte von Tiberia werden, begrenzt auf die Zeit von einem Jahr. In der Therme erlebte Gelasia hautnah, was für eine giftige Viper dieser Araneus war. Er verhöhnte und drohte Tiberia ohne Unterlass, und das, was Gelasia in diesem kurzen Moment von seiner hässlichen Seite erfuhr, war vermutlich nur die Spitze eines Berges. So war es ein buchstäblicher Schock für sie, als Lucia unverblümt ihre Unterstützung für Araneus kundtat. Gelasia verstand ihre Beweggründe dafür nicht, aber vielleicht würde sie es eines Tages erfahren und dann verstehen.

Der wohl härteste Schlag, den die rote Kaste aber einzustecken hatte, war sicherlich die Kunde vom Tode Sergius. Dieser war gerade noch Ädil von Victoria. Und nun war er anscheinend von einer Fahrt auf dem Vosk nicht mehr zurück gekehrt. Gelasia erfuhr von seinem Tod, als sie eine Botschaft an das Haus Atticus überbringen sollte. Zunächst hatte sie den ganzen Tag versucht, jemanden in deren Haus am Hafen anzutreffen, doch nicht einmal eine Sklavin öffnete die Tür. Sie war verwundert, und wagte den nächsten Versuch in den späten Abendstunden. Auch dann öffnete wieder niemand die Tür, doch sie hörte eine klagende Stimme wenige Meter vom Haus entfernt. Sie ging ihr nach, und entdeckte Aurora Atticus, die mit Tränenschleiern in den Augen und einer blutig aufgebissenen Unterlippe auf einem der Boote kauerte. Zuerst glaubte Gelasia, sie wimmere nur wirres Zeug, bis sie schließlich die schwarze Kleidung und Auroras Worte in einen Zusammenhang bringen konnte. Aurora wartete auf ihren Bruder, der ihr doch versprochen habe, sie niemals zu verlassen. Aber all ihr Hoffen und Bangen war nun vergebens. 

Aurora Atticus, die stolze und gewiefte Attica, war nur noch ein Schatten ihrer selbst, und die Trauer um ihren Bruder hatte sie in den Wahnsinn getrieben.
An Kiku, Auroras Sklavin, die schließlich dazu kam, richtete Gelasia die Botschaft aus, denn Aurora war ganz offensichtlich nicht in der Lage, ihre Nachricht wahrzunehmen. Anschließend eilte sie zurück zum Ludus, wo sie auf Tiberia im Torbogen traf und ihr sofort davon erzählte. Was Gelasia jedoch am meisten erstaunte, war der neue Auftrag, den sie anschließend von ihrer Herrin Tiberia erhielt. Sie solle sich beim Rarius Arreconius melden, um ihm zwei Tage zur Verfügung zu stehen, denn es sollten neue Soldaten angeworben werden. In nur einer Hand sei geplant, dass eine Flotte von nicht weniger als sechs Schiffen auslaufe, um gegen die Vosk-Piraten anzutreten. Gelasia vermutete, dass Sergius und seine Mitstreiter gerächt werden sollten, doch vor allem war sie sichtlich verdutzt, dass ausgerechnet eine Sklavin eines kastenfremden Hauses nun dafür abbestellt werden sollte, für die rote Kaste zu werben. 

Doch Gelasia wäre nicht Gelasia, wenn sie darin nicht sofort einen Vorteil gesehen hätte. Immerhin wäre eine solche Werbeaktion mit Unterstützung des Sklavenhauses - sich ganz gönnerhaft zeigend - die ideale Gelegenheit, dass sich der Name Crispus in ganz Victoria gewinnbringend einbrennt. Gelasia brachte einige Vorschläge vor, mit welchen sie Tiberia überzeugen konnte, sie auch Arreconius vortragen zu dürfen.



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