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Man konnte über Egil sagen, was man will. Für Gelasia war klar: trotz all seiner Ungeschicktheiten, unter denen sie hin und wieder zu leiden hatte, hatte er sein Herz am rechten Fleck und verkörperte den Mut, die Leidenschaft und den Stolz eines Kriegers. An seiner Gesinnung könnte sich noch so mancher Feigling eine gewaltige Scheibe abschneiden. Egal, was die Gerüchte über seinen mysteriösen Umgang mit Frauen sagten.



EGIL, DER STOLZE KRIEGER AUS DEM NORDEN

Immer wieder tauchte die Heilerin Seraphina vor dem Torbogen des Ludus auf, und sprach Gelasia an. Schien es bei den ersten Malen noch so, als ob sie nur ein wenig Ablenkung suche, eröffnete sich der wahre Grund zu einem späteren Zeitpunkt, als sie Gelasia aus dem Nichts heraus einlud, sie auf eine nahe gelegene Wiese zu begleiten, damit sie Seraphina beim Schaukeln anstoße. Gelasia glaubte zuerst, die Heilerin wolle sich wegen der Gerüchte, die über die angeblich amouröse Beziehung zwischen ihrer Schwester Betty - die im übrigen die zukünftige Gefährtin des alten Baratheus werden solle, wie Gelasia unter der Hand erzählt bekommen hatte - und ihrem Bruder Totilas umhören, um diese skandalösen Behauptungen aus der Welt zu schaffen. Doch es ging ihr um etwas anderes.

Egil und seine Bedrohung für die freien Frauen war das Thema. Dabei war das doch nun, zumindest in Gelasias Augen, eine Sache, die längst hätte erledigt sein müssen. Egil hatte seine Strafe bekommen, entwickelte sich dabei auch noch wider Erwarten prächtig - auch wenn er, zugegebenermaßen, immer wieder seine Grobschlächtigkeit zum Besten demonstrierte - und verstand offensichtlich mehr von Ehre und Stolz, als alle Männer Victorias zusammen.
Die Sklavinnen des Ludus waren bekanntermaßen angewiesen worden, in ganz Victoria für die Rekrutierung Freiwilliger auszuschwärmen. Arreconius erkundigte sich, wie gut sie denn dabei voran kämen, und Gelasia klärte ihn über die Ausreden, die fast jeder zweite parat hatte, auf: Entweder hatten sie Angst um ihre Geschäfte, oder sie beriefen sich auf ihre Herkunft. In beiden Fällen hatte Gelasia natürlich Gegenargumente. Zum einen würde die Händlerkaste sicherlich in Zusammenarbeit mit dem Administrator dafür sorgen, dass das Bestehen der Geschäfte garantiert blieb. Zum anderen würde selbst die Erklärung, dass man aus dem Norden käme, nichts mehr zählen, wenn die Piraten nicht vertrieben, sondern vor der eigenen Haustür stehen würden. Ganz abgesehen davon, dass bei zu wenig Freiwilligen sicher der ein oder andere schanghait würde, und bei Zwangsrekruten bestimmt kein Sold anfiele.

Doch allen Argumenten zum Trotz zeichneten sich vor allem hinzugezogene und heimsteinlose Nordmänner durch Zurückhaltung aus. Als Arreconius bei Egil die Probe aufs Exempel starten wollte, hatte er wohl nicht mit dessen donnernder Standpauke gerechnet. "Versteh gar nicht, warum hier so ein Aufruhr besteht. Unser Jarl hat früher einfach auf den Tisch gehauen und gesagt, wie viele Männer er braucht. Dann sind die los gezogen und haben alles verdroschen, was sich in den Weg gestellt hat! Aber hier, hier wird geworben, zu kompliziert für mich." 

Arreconius führte die Aussicht auf Beute ins Feld, woraufhin Egil aufgrund der Werbeaktion ein weiteres Totschlagargument zum Besten gab: "Beute schon. Aber bestimmt diskutiert ihr später - sofern euch nicht die Eier abgefallen sind, wenn ihr die Piraten gesehen habt - wer wie viel Beute bekommt, macht dazu ein paar Gruppen, in dem dies diskutiert wird und schwups, sind die Kinder der Piraten groß geworden und haben sich längst zurückgeholt was ihnen gehörte."

Insgeheim musste Arreconius wohl zugeben, wie Recht Egil mit seinen Aussagen hatte, denn wie er kurz zuvor eingestanden hatte, seien nicht einmal das erste Schwert und die Hauptleute bereit, in die Schlacht zu ziehen. Vielmehr würden sie sich wohl Sorgen darum machen, jemand könne sich während ihrer Abwesenheit an ihren Posten zu schaffen machen. Und wenn ein Machtwort von oben fehlt, dann trägt es solche Früchte wie die der groß geschwungenen Reden, anstatt eines klaren Marschbefehls. 

Egil zögerte daher nicht, noch mehr Öl ins Feuer zu gießen: "Dann seid ihr derjenige, der es nicht schafft, all diese Männer hinter ihrem Herd hervorzuscheuchen? Der Rede und Stimme verschwendet, um Männer zu finden, die wissen, wann es an der Zeit ist zu handeln, und nicht zu quatschen!? Ihr habt mein Mitgefühl! Aber was lobe ich mir da die Nordmänner. Die braucht man nicht zu bitten, die rülpsen und furzen kurz, und dann stehen sie auf wie ein Mann! Hauen jedem aufs Maul, der nicht ihre Sprache spricht und kehren mit Beute heim. Meist sind es dunkelhäutige Sklavinnen mit langem, dunklem Haar." Die letzte Aussage traf mit einem fiesen Grinsen den unglückseligen Baumeister Lucius, der nebenher versucht hatte, Egil in die Schranken zu weisen, weil er ihm seiner Meinung nach mit mangelndem Respekt vor einem Höherkastigem entgegen trat.

Bevor jedoch diese Auseinandersetzung eskalieren konnte, lockten die Damen des Sklavenhauses Egil mit einer Finte zurück in den Ludus. Er schmollte und pfefferte die unschuldige Pfanne, in der ihm Gelasia zwei Spiegeleier gebraten hatte, gegen die Wand. Während sich die Spiegeleier Dank der Schwerkraft langsam einen Weg nach unten bahnten und dabei ironischerweise die verzerrte Fratze eines grinsenden Gesichts formten, entstand zwischen Lucia, Tiberia und Egil eine wahnwitzige, aber umso genialere Idee. Lediglich die Umsetzung müsste nun noch in Schwung gebracht werden. Und sollte dies gelingen, könnte das für so manchen noch eine tödliche Beleidigung werden, aber Ruhm und Ehre für das Haus Crispus einbringen.
Doch nicht nur Gelasias Herrschaften und deren loyale Wachmänner spannen Pläne, wie man das Haus schützen und dabei auch noch zu erfolgversprechenden Taten bringen könnte. Gelasia war nicht untätig geblieben und hatte sich mit dem Heiler Lomerus verabredet. Er war derjenige, der sie auf den Gedanken gebracht hatte, ob und mit welchen Methoden sie sich vor unliebsamen Fragen und Erpressungen schützen könne. Sie musste ihm hoch und heilig versprechen, gegenüber niemandem, aber auch wirklich niemandem etwas über die Technik, die er sie lehrte, verlauten zu lassen. Er betonte, wie wichtig es sei, dass sie täglich übe. Und für Gelasia bestand kein Zweifel, dass sie üben würde bis zum Erbrechen. Sie würde auf Dauer, so viel war ihr inzwischen klar, ihren Körper nicht schützen können. Irgendwann wäre der Tag gekommen, an dem es jemanden gelingen würde, Hand an sie zu legen. Aber an ihren Geist sollte keiner Hand anlegen können.



Kommentare

  1. grade deinen blog endeckt :) schöne geschichten und echt gut geschrieben! les grad alles nach...

    liebe grüße

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    1. Hab mir auch echt Mühe gegeben! *g* Auch wenn es nicht einfach ist, das ein oder andere aus dem Gedächtnis heraus zu einem sinnvollen und flüssigen Text zu formulieren.

      Viel Spaß beim Lesen, du bist schon früher einmal vorgekommen ^^

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