# 7

Sie war schön. Sie war sinnlich. Sie war unterhaltsam. In jeglicher Hinsicht verstand sie es, ihre Klugheit und manipulativen Fähigkeiten einzusetzen, um den Männern zu gefallen. 

KLEIO, GELASIAS MUTTER

Jahre lang war sie im Besitz eines Händlers, der sie durch unlautere Mittel bei einem Würfelspiel in der Taverne gewonnen hatte. Er vergewaltigte sie beinah täglich und ließ sie kaum aus seinen Fellen. Doch sie war nicht dumm, und verstand es, aus ihren kläglichen Umständen das Beste zu machen. Dem Paga war der Händler schon immer sehr zugewandt, und wenn er zwar erregt, aber nicht mehr in der Lage war, sie zu nehmen, erheiterte sie ihn mit fantasievollen und erotischen Geschichten, damit er sie in seinem Rausch und im Zorn über seine Impotenz nicht erschlüge.

Dann wurde sie trotz aller getroffener Maßnahmen schwanger. Sie wusste gut genug, dass der Händler nur seine allzu große Freude daran hätte. Nur zu gerne wollte sich der selbstverliebte Perversling eine jüngere Nachfolgerin heran züchten. Eine Heilerin sollte ihr helfen, das Ungeborene heimlich zu töten. Doch all ihre Bemühungen waren fruchtlos, und so gebar sie tatsächlich eine Tochter.

Sie zwang sich, keine Muttergefühle zuzulassen, weil ihr bewusst war, dass Gelasia - so nannte sie das immer lächelnde Kind - einzig und allein zu dem Zweck geboren werden musste, um sie eines Tages zu ersetzen. Sie würde sie in allen Belangen ausbilden müssen. Gelasia war nicht nur das Resultat mehrerer Vergewaltigungen durch den Händler. Sie müsste ihrem einzigen Kind dann auch noch eintrichtern, dass sie eines Tages die Vergewaltigungen an ihr selbst als ihre Bestimmung zu sehen und dabei auch noch Lust zu empfinden habe. Eine Aufgabe, der sie sich kaum gewachsen fühlte. Es zerriss ihr fast das Mutterherz. Und so begegnete sie diesem mit Härte, Disziplin und Distanz, sich selbst und ihrem Kind gegenüber.

Doch eine höhere Macht hatte wohl ein Einsehen. Das Kind wurde offensichtlich zu seinem eigenen Schutz mit einer unglaublich hässlichen Hakennase gestraft. Je älter es wurde, desto unübersehbarer war dieser Schönheitsmakel. Der Händler spuckte Gift und Galle, jeden Tag durch ein Balg an seine eigene Unvollkommenheit erinnert zu werden. Sein Plan, selbst eine noch schönere Nachfolgerin zu züchten, die seine - in seinen Augen - perfekten Gene trug, war nicht aufgegangen.

Als Gelasia ungefähr zehn Jahre alt war, hatte sich der Händler endgültig um sein eher mittelmäßiges Vermögen gebracht und verfiel der Schuldsklaverei bei einem Schriftgelehrten. Dieser hatte, so munkelte man, keinen Trick ausgelassen, um den Händler über den Tisch zu ziehen. Nun fielen Gelasia und ihre Mutter in den Besitz dieses Schriftgelehrten, und er kam in das Haus des Händlers, um seinen neuen Besitz in Augenschein zu nehmen.

Mutter und Kind waren seit dem Tag getrennt, bis auf spärlich gesäte und heimliche Treffen. Denn Gelasias Mutter wurde vom Schriftgelehrten mit in sein Haus genommen. Gelasia dagegen war ihm nicht nur viel zu jung, auch fand er sie wie andere zuvor schon unschön anzusehen. So wurde Gelasia in die Küche verbannt, damit der Händler sie nie wieder sehen müsste. Da sie im Besitz des Schriftgelehrten war, konnte er sie nicht einmal mehr verkaufen, und so sollte sie wenigstens hinter den Töpfen zu etwas nütze sein. Das einzige, was der Schriftgelehrte dem bettelnden Händler zugestanden hatte, damit er nicht verhungerte. In seinem Haus hätte er den Händler niemals akzeptiert, und statt ihn zu verkaufen, wollte er ihn offensichtlich leiden sehen, während dieser verzweifelt versuchte, noch mehr Geld für seinen Peiniger zu scheffeln.

Der Schriftgelehrte erfuhr schnell von der Gabe des Geschichtenerzählens. Er war davon so angetan, dass er sie Kleio taufte, nach der Muse der Heldendichtung. Manche der Geschichten wollte er immer wieder hören, und weil er ein sehr guter Zuhörer war, fiel ihm alsbald auf, dass die gleiche Geschichte doch sehr variantenreich sein konnte. Er unterrichtete Kleio, damit sie schreiben und lesen lernte, um all ihre Geschichten zu Papier zu bringen. Jeden Abend konnte er so seine Wunschgeschichte vorlesen lassen und Kleio, die sehr schnell den Vorteil dieser neu erworbenen Fähigkeiten erkannte, gab alles, was sie darüber wusste, an ihre Tochter weiter. 

Wann immer sie sich trafen, schärfte Kleio ihrer Tochter ein, dass sie ihr Geheimnis gut hüten müsse. Sie erklärte ihr, dass Schreiben und Lesen Wissen bedeute. Und Wissen wiederum Macht. Die freien hätten Angst vor wissenden und mächtigen Sklaven, sie würden sie töten, und deshalb solle sie ihr Wissen für sich bewahren. Bis vielleicht, eines Tages...

Aber was auch immer dieses "Bis vielleicht, eines Tages" hätte bedeuten können, konnte Kleio Gelasia nicht mehr erklären. Von einem auf den Tag verschwand sie. Spurlos. Sehr viel später konnte Gelasia über Haussklaven des Schriftgelehrten heraus finden, dass sie angeblich verkauft worden sei. Doch Gelasia glaubt das nicht. Sie ist sich sicher, Kleios Wissen wurde ihr zum Verhängnis...


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