# 1
Gelasia war nach diesem Tag am Rande eines
Nervenzusammenbruchs. Die Ereignisse hatten sich vollkommen überschlagen.
Nachdenklich lag sie auf ihrem Lager und ließ die vergangenen Erlebnisse Revue
passieren.
DIE SILBERMÜNZE
Vor ungefähr zwei Tagen erhandelte sie im Hafen frischen
Fisch. Sie legte gerade den letzten der glitschigen Wesen in ihren
mitgebrachten Korb, als plötzlich ein Fremder vor ihr stand. Seiner Kleidung und
seinen Waffen nach war er ein Wachmann, dem sie jedoch noch nie begegnet war.
Zuerst glaubte sie, sie würde verhaftet. Doch er schlug ihr
einen Handel vor. Für eine Silbermünze sollte sie sich zu ihm legen. Ihr
Schreck hätte kaum größer sein können. Sie war zwar eine Leibeigene, doch nicht
völlig auf den Kopf gefallen, und zu oft hatte sie von all den Mädchen gehört,
die der Lust verfallen und anschließend verdummt waren. Es gab wohl kaum etwas,
das sie mehr fürchtete, als die schreckliche Aussicht darauf, ein kopfloses
Vulo zu werden!
Sie redete sich so gut es ging heraus, während sein Drängen
und Drohen zunahmen. Da er sie nicht einmal fragte, ob sie eine Leibeigene
wäre, vermutete sie schließlich, dass er geschickt worden war, um ihre
Loyalität zu ihrem Herrn auf den Prüfstand zu stellen. Als sie schließlich schon
erleichtert aufatmen wollte, dass er endlich von ihr abließ, schnippte er eine
Silbermünze in ihren Fischkorb und verschwand in den Gassen, ehe sie ihm noch
die Münze zurück geben konnte.
Sie war entsetzt. Wer käme aus einer Laune heraus auf den
Gedanken, einer Leibeigenen eine Silbermünze zu überlassen? Das würde ihr
sicher noch große Schwierigkeiten einbringen, und sie sollte mit dieser
Befürchtung Recht behalten.
DIE VERSTOSSUNG
Sie war kaum in der Küche angekommen, als plötzlich ihr Herr
in die Küche stürmte. Noch nie war er in diesem Raum aufgetaucht! Er herrschte
sie an, dass sie ihn betrogen habe. Er wühlte in ihrem Fischkorb, bekam die
Silbermünze zu fassen und hielt sie ihr anklagend und mit einem triumphierenden
Gesichtsausdruck vor die Nase. Eine Diebin schimpfte er sie. Unheilvoll
verkündete er sein Urteil. Er würde sie an das Sklavenhaus Crispus versetzen,
damit sie ihm durch den Verkauf den Schaden ersetze, den sie ihm mit dem
Diebstahl zugefügt habe.
Ihre Knie wurden butterweich und sie war nahe einer Ohnmacht.
Doch bevor sie auf den Boden aufschlagen konnte, packte er sie an ihren zusammen
gebundenen Haaren, entriss ihr die Nadeln, denn diese seien sein Besitz, und schleifte
sie dann an ihrer langen Mähne vor allen Leuten durch die Gassen. Noch nie
hatte sie sich so gedemütigt gefühlt. Doch es sollte schlimmer kommen.
Es dauerte nicht lange, als ein Wachmann des Sklavenhauses
auftauchte, der sie abführen sollte. Und dieser Wachmann war ausgerechnet
derjenige, der ihr die Silbermünze in den Korb geworfen hatte! Jetzt war es für
sie sonnenklar, es musste ein Komplott gewesen sein. Es hatte sich bereits seit
einiger Zeit abgezeichnet, dass ihr Herr unzufrieden mit ihr war. Sie war eine
Last für ihn, denn für mehr als den Herd taugte sie seiner Ansicht nach nicht.
Für die Felle war sie ihm mit ihrer Hakennase einfach zu hässlich. Da half es auch
nicht, dass er nur allzu sehr dem Paga zugewandt war. Er konnte sie sich nicht
einmal schön saufen. Die Silbermünze war also ein nur allzu willkommener
Vorwand gewesen, um sie endgültig los zu werden und aus seinem Haus zu
verstoßen. Gelasias Schicksal war besiegelt, ihre Zukunft ungewiss.
DIE ANKUNFT IM SKLAVENHAUS
Statt Gelasia umgehend dem Sklavenhaus zuzuführen, versuchte
der Wachmann erneut, sich an ihr zu vergreifen. Mit der Aussicht, ihm etwas zu
kochen, gelang es ihr wohl doch noch im letzten Moment, ihn von seinem Vorhaben
abzubringen. Er hetzte sie Richtung Taverne durch die Gassen, wo sie nach
wenigen Schritten auf Lady Lucia trafen. Wie sie aus der Unterhaltung ihres
ehemaligen Herrn und des Wachmannes noch zuvor heraus gehört hatte, war Lady
Lucia die Herrin des Sklavenhauses. Grund genug für sie, einen guten ersten
Eindruck bei der Lady zu schinden, weshalb sie sie auch sofort als Herrin
ansprach.
Bisher war sie reichen
Herrschaften noch nie persönlich begegnet, außer vielleicht einmal von weitem
bei einer ihrer Besorgungen für die Küche. Eine umfassende Sklavenausbildung
hatte sie nie erhalten, weshalb sie immer davon ausging, dass alle Männer mit
Sir, alle Frauen mit Lady angesprochen werden. Mit Ausnahme eines Besitzers,
also dem Herr oder der Herrin. Sie sollte noch früh genug erfahren, dass in den
reichen Kreisen dahingehend offensichtlich eine andere Auffassung vertreten
wurde.
Als ihre neue Herrin Lucia mit ihr ein wenig abseits stand,
fragte diese sie über ihre Herkunft und ihre Fähigkeiten aus. Den Bemerkungen
nach zu urteilen fürchtete sie, Herrin Lucia habe etwas über ihr Geheimnis
erfahren. Doch sie wurde nicht direkt darauf angesprochen. Vielleicht bildete
Gelasia sich in ihrer Panik auch nur ein, dass sie etwas wissen könne. Sie
lenkte ab und konnte Herrin Lucia davon überzeugen, als Topfsklavin die ein
oder andere Fähigkeit gewinnbringend für das Haus Crispus einbringen zu können.
Sie war glücklicherweise in einige Küchengeheimnisse für stimulierende oder
hemmende Lebensmittel eingeweiht, was Herrin Lucia offenkundig hellhörig werden
ließ.
Im Sklavenhaus wurde sie von Herrin Lucia durch die Räume
geführt, damit sie wusste, wohin sie sich zu bewegen hatte, wenn sie gerufen
wurde, und wo sie sich aufhalten durfte. Sie war beeindruckt von den teuren
Möbeln, den Stoffen, der Seide, den Tapeten und Wandmalereien. Nie hatte sie so
etwas aus der Nähe gesehen. Noch erstaunter war sie, als sie in das Kellergewölbe
geführt wurde, das viel größer war, als sie es erwartet hatte. Selbst ein Bad
war dort unten zu finden!
Unter dem Deckmantel der Verschwiegenheit vertraute ihr
Herrin Lucia ihre neuen Aufgaben an. Sie war positiv überrascht, dass sich die
Lady als eine gewitzte Geschäftsfrau entpuppte, die es allem Anschein nach sehr
gut verstand, ihren Vorteil aus ihrem Status zu ziehen. Mit allen ihr zur
Verfügung stehenden Mitteln.
Ein wenig erinnerte
sie Herrin Lucia an ihre Mutter. Auch diese hatte es verstanden, aus ihrer Lage
das Beste zu machen. Sie hatte sich als Gesellschafterin nach oben gearbeitet
und wurde schließlich sogar im Lesen und Schreiben ausgebildet. Sie bestach
nicht nur durch ihre Schönheit und ihren Fähigkeiten in den Fellen, sondern
ebenso durch ihre Belesenheit. Sie war eine Muse in jeglicher Hinsicht. Ihr
Wissen gab sie heimlich an Gelasia weiter. Es war ein vorteilhaftes, aber
gleichzeitig gefährliches Wissen für eine Frau, und erst recht für eine
Arbeitssklavin. Eines Tages war ihre Mutter spurlos verschwunden. Angeblich war
sie verkauft worden. Doch Gelasia glaubt, dass ihr ihr Wissen zum Verhängnis wurde.
Ein Grund mehr für sie, dem Rat ihrer Mutter zu folgen und dieses Geheimnis
unter allen Umständen für sich zu bewahren.
Schließlich verabschiedete sich Herrin Lucia von ihr, und
wies sie noch an, sich ordentlich zu waschen und zu kleiden, um bereits am
nächsten Tag das Haus Crispus bestmöglich zu repräsentieren. Es war ihr Wunsch,
dass die Sklavinnen einen ordentlichen Eindruck machten, denn die reichen
Herrschaften gingen im Haus ein und aus, und eine schmutzige Sklavin wäre
schlecht fürs Geschäft.
EIN SPIELBALL IM KAMPF UM DIE MACHT
Kaum war Herrin Lucia die Treppen nach oben entschwunden,
lernte Gelasia auch schon die nächste Dame des Hauses persönlich kennen.
Tiberia, die Schwester des Hausherren Gaius, der Gefährte Lady Lucias. Sie wies
Gelasia an, Wasser nach oben zu bringen. In den oberen Räumen hielt sich die
Mutter Lucias, Lady Fauna auf, sowie der Wachmann, dessen Namen sie in der
Zwischenzeit erfahren hatte: Vicar. Diesen Namen würde sie sicherlich niemals
vergessen. Es war ein Name, den sie mit Abscheu, Ekel und einem großen
Schrecken verband.
Sie war es gewohnt, wie ein Schatten, beinah unsichtbar
dafür zu sorgen, dass ihr Herr etwas zu trinken oder zu essen bekam. Von einem
„Serv“ hatte sie nicht den blassesten Schimmer. Lady Lucia hatte ihr in den
unteren Gewölben im Zusammenhang mit Kalana noch zu erklären versucht, was es
damit auf sich hatte, aber die Zeit war zu kurz gewesen. Es kam wie es kommen
musste, sie tappte prompt ins Fettnäpfchen und handelte sich die ersten
Schwierigkeiten ein.
Vicar verlangte von ihr, das Wasser mit einem „Serv“ zu
offerieren. Irritiert fragte sie Lady Fauna, ob dafür nicht ein Kalana vonnöten
sei, was Vicar seinem darauf folgenden Wutausbruch nach zu urteilen für eine
Frechheit ihrerseits zu halten schien. Sie versuchte noch, den anwesenden
Herrschaften ihre Unwissenheit zu erklären. Doch das hielt Vicar nicht davon
ab, ihr die nächste Demütigung anzukündigen. Er befahl ihr, sich ihrer Kleider
zu entledigen und völlig entblößt zur Taverne hin und zurück zu laufen! Vielleicht
war er verärgert darüber, dass er sich bisher nicht an ihr vergreifen konnte,
und wollte sie unter allen Umständen damit strafen, von einer emsigen
Topfsklavin zu einer einfältigen Fellsklavin zu verkommen.
Sie war völlig vor den Kopf gestoßen, aber vor allem
irritiert. Schnell kristallisierte sich heraus, dass es hier wohl um mehr ging,
als einfach nur eine Sklavin zu demütigen. Wer hatte hier das Sagen? Wer durfte
Befehle erteilen? Standen nicht die freien Frauen, die die Anweisungen des
Hausherren vertraten, über dem Wachmann in der Hierarchie? Gelasias bisheriges
Weltbild, das zugegebenermaßen nicht mehr Welt umfasste, als die des Herdes,
des Hafens, der Bäckerei oder Metzgerei, schien binnen weniger Augenblicke wie
ein Kartenhaus in sich zusammen zu brechen.
Ein Schlagabtausch entbrannte zwischen den Frauen und dem
Wachmann, die ihre Machtstellung im Hause Crispus offensichtlich nicht in
Zweifel gezogen wissen wollten. Vicar betonte, dass Gelasia doch nur eine
Sklavin sei, die nicht mehr wert sei als eine Silbermünze, wenn überhaupt. Die
Frauen hielten dagegen, dass Gelasias Status noch nicht geklärt sei, ob sie
geöffnet oder ungeöffnet war. Was sie dabei empfand, interessierte nicht. Sie
war degradiert, kaum mehr wert als ein Tier. Sie war eine Sache, ein Spielball
in einem Machtkampf, und nichts weiter als eine weitere Nummer im Hause
Crispus: 326.
Sie entkam ihrer misslichen Lage nur durch eine glückliche
Fügung, als sich am Tor des Hauses plötzlich später Besuch für Vicar
ankündigte. Ihre Erleichterung war grenzenlos, und so war sie sogar dankbar,
als Lady Fauna auch noch etwas von ihrem Kalana verschüttete, den Gelasia vom
Boden aufwischen musste. Wenigstens eine Aufgabe an diesem Tag, die sie
beherrschte und bei welcher sie sich nicht vor möglichen Folgen fürchten
musste, doch noch geistig verarmen zu müssen.
Sie konnte nur hoffen, dass die nächsten Tage besser wurden.
Statt bloßem Ausführen einfacher Befehle würde sie sich jetzt wohl
diplomatische Fähigkeiten aneignen müssen, um nicht zwischen den um
Machstellungen kämpfenden Herrschaften zerrieben zu werden. Erschöpft schlief
sie schließlich auf ihrem Lager ein.
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