# 6

Es war Gelasias Herrin Lucia höchst persönlich, die sie über die Vorfälle und Vorwürfe um den Hausheiler aufklärte. Nie zuvor hatte eine Herrschaft so viel Vertrauen Gelasia gegenüber entgegen gebracht, und sie fühlte sich davon geehrt. Es war allerdings genauso wenig von der Hand zu weisen, dass sich Lucia mit purer Absicht Gelasias 100%ige Loyalität und Verschwiegenheit gesichert hatte, indem sie schon mehrere Male dafür gesorgt hatte, dass so mancher Kelch an Gelasia vorüber zog. Denn bei all den Ereignissen, die hinter den Mauern des Sklavenhauses vor sich gingen, war Lucia offenkundig darauf angewiesen, dass ihr nicht eine allzu geschwätzige Sklavin heimtückisch einen Dolch in den Rücken rammte. Auch wenn es unausgesprochen blieb, so thronte das Wissen über ein sillschweigend eingegangenes Abkommen über ihren Unterhaltungen und Handlungen. Und bisher schien es, als ob beiden daran gelegen sei, dieses nicht zu brechen.


BAUERNFIGUREN

Durch Lucia hatte Gelasia erfahren, dass Lomerus von zwei freien Frauen vorgeworfen worden sei, sie angegriffen zu haben, weshalb sie ihn beim Prätor angezeigt hätten. Lucia stattete daraufhin mit Lomerus einen Besuch bei Quintus Aurelius ab. Dass Lucia mit ging, lag wohl vor allem daran, dass genauso der Ruf des Hauses Crispus auf dem Spiel stand. Denn immerhin war Lomerus der neu angestellte Hausheiler.

Von einem der beiden Fälle wusste Gelasia, da sie höchstpersönlich dabei gewesen war. Das war, als sie von Aurora, die nun als Gefährtin Illarions Aristomenes im Namen trug, beiseite gezogen worden war, um über die Zuständigkeiten für die Küche im Hause Crispus ausgefragt zu werden. Dabei tauchte Lomerus plötzlich auf, was Aurora dazu bewegte, ihren Dolch zu ziehen. Angeblich habe er sie verbal beleidigt.

Die andere Freie, die einen Vorwurf gegen Lomerus erhob, war von Lucia noch in dieser Woche eingeladen worden, Vedius im Sklavenhaus genauer unter die Lupe zu nehmen. Es ging wieder einmal um die angeblichen Wetten auf die Gladiatoren. Lucia wies Gelasia an, sich Zeit zu lassen und zu einem späteren Zeitpunkt den Wein im geheimen Kellerraum zu servieren. Auf die Weise, wie Gelasia es sonst auch tat: geräuschlos und ohne zu stören. Sie sollte lediglich darauf achten, dass sie im richtigen Moment von der Freien bemerkt würde. Gelasia war klar, dass sie somit eine Bauernfigur abgeben musste. 

Die Reaktion der Dame, die Gelasia dann in flagranti erwischte, war vorprogrammiert. Entsetzen und Entrüstung gaben sich die Klinke in die Hand. Doch Gelasia hatte ihre Anweisung, weshalb sie sich trotz der gemachten Vorwürfe, was sie dort verloren habe, nichts zur ihrer Verteidigung anbrachte und stattdessen wieder wie ein Schatten aus dem Zimmer verschwand. 

Vedius Entsetzen war seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen nicht minder gewesen. Immerhin hatten Gelasia und er ein gutes Verhältnis, fast geschwisterlich, könnte man inzwischen sagen. Sicher war ihm genauso klar gewesen, dass Gelasia nur ihrer Herrin gehorchte. Doch dürfte ihm das ebenso in aller Deutlichkeit und Bitterkeit noch einmal sehr genau vor Augen geführt haben, dass sie beide der Gutmütigkeit oder Willkür der Herrschaften auf Gedeih und Verderb ausgesetzt waren. Wie sehr, das sollte Gelasia zu ihrem eigenen Entsetzen sehr bald erfahren.


UNFREIE FREIE

Weil sie vor dem Ludus immer wieder von Tiberia vertrieben wurden, weil diese offenbar verhindern wollte, bei ihren Fluchten für einsame Streifzügen durch die Stadt entgegen der Anweisung von Gaius gesehen zu werden, hatten sich Vedius und Gelasia das lauschige Plätzchen neben den Latrinen ausgesucht. So waren sie nicht zu weit entfernt, wenn sie gerufen wurden.

Als sich Vedius zum Gladiatorentraining begeben musste, blieb Gelasia dort allein zurück. Sie staunte nicht schlecht, als plötzlich Tiberia auftauchte. Diese war schon zuvor durch ihre launische Stimmung aufgefallen. Lomerus hatte ihr sogar einen Aufguss aus Heilblättern empfohlen. Tiberia ließ Gelasia gegenüber durchblicken, dass sie sich wie ein Vogel im goldenen Käfig fühlte. Ihr Bruder Gaius setzte alles daran, dass ihr Ruf keinen Schaden erleide, damit sie als eine ehrbare Gefährtin verkuppelt werden könne.

Gelasia konnte solche Befindlichkeiten der Freien immer noch nicht nachvollziehen, und wand vorsichtig ein, dass Tiberia einem zukünftigen Gefährten wohl nicht allein durch einen ehrbaren Ruf gefallen wolle. Sie verstand nicht, dass man Tiberia offenbar verweigerte, für die Widrigkeiten einer Stadt voller Intrigen, wie es Victoria war, gerüstet zu sein. Denn ihrer Meinung nach benötigte ein Mann nicht einfach nur eine schöne Trophäe für Zuhause, sondern eine starke Frau, die ihrem Gefährten gegenüber treu ergeben war, um ihm in jeder Lage den Rücken zu stärken. So, wie sie es bei Lucia bisher gesehen hatte.
Lucia im Gespräch mit Vedius und Gelasia
Bereits am nächsten Tag erfuhr Gelasia von Lucia, dass Araneus Aurelius Interesse an Tiberia angemeldet habe. Lucia unterstrich die Vorteile, die sich aus einer solchen Verbindung zur roten Kaste ergeben würden. Gelasia wollte für Tiberia ein gutes Wort einlegen und drückte sich reichlich diplomatisch aus, um Lucias Meinung zu dieser Angelegenheit heraus zu kitzeln. Doch Lucia machte deutlich, dass Tiberia dieses "Glück" zu akzeptieren, sich sogar darüber zu freuen habe. Gelasia wurde nachdenklich. Im Netz politischer Klüngel war selbst eine Freie nicht mehr als eine Sklavin.


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