# 21

Der Aufenthalt auf dem Cripusschen Landsitz war die reinste Tortur gewesen! Als frisch gebackene erste Sklavin des Hauses Crispus hatte Gelasia für alle anderen Sklavinnen Verantwortung zu tragen. Sei es, dass sie mit den Hausregeln vertraut gemacht wurden, immer perfekt aussahen, oder ihre vielfältigen Arbeiten anständig ausführten. Sie musste natürlich auch gleich noch ihre Feuertaufe bestehen, denn Lucia schickte sie auf den Landsitz, um dort nach den abgeschlossenen Bauarbeiten die Putzkolonne zu beaufsichtigen. Sie führte ein strenges Regiment, und so dauerte es nur wenige Tage, bis ein großes Gezeter begann, als die ersten Sklavinnen feststellten, dass ihre sorgfältig gepflegten Fingernägel abbrachen. Fünf zerbrochene Kochlöffel und eine nicht mehr verwendbare Wurzelbürste, die Gelasia kurzerhand zu einem maßregelnden Zweck missbraucht hatte, waren die traurige Bilanz nach dem erfolgreich nieder gerungenen Putzsklavinnenaufstand. Gut, die Extraportionen Lebensmittel hatte sie noch geschickt verbergen können, denn immerhin galt ja: Zuckerbrot und Peitsche. Dieser Aufstand war jedoch harmlos gegen das gewesen, was Victoria bald ereilen sollte.


Pavidus war der erste, der Gelasia endlich erzählt hatte, was sich auf dem Vosk wirklich zugetragen hatte. Zwar hatten sie erfolgreich ein Schiff gekapert, jedoch entstanden die wahren Verluste, als sie von einer Flussbestie angegriffen wurden. Gelasia war schockiert von der Erzählung. Vor allem aber war sie irritiert, dass kein Wort über die Piraten verloren wurde.

Den Grund hierfür erahnte sie schon bald. Im Ludus wurde ein Rudersklave des angegriffenen Schiffs verhört. Und dieser beteuerte unter Egils überzeugenden Argumenten, lieber den Mund aufzumachen und alles zu erzählen, dass er auf einem Handelsschiff gerudert habe. Aber kein Piratenschiff! 

Auch die rote Kaste hüllte sich in Schweigen. Es war irreführend, wer hier welche Stricke gezogen hatte, und vor allem, aus welchem Grund. Dann sickerten die ersten neuen Gerüchte durch: es habe sich um Waffenschmuggel gehandelt. Waffen, die heimlich an die Piraten verkauft worden wären. Allerdings gelang es Gelasia nicht, in Erfahrung zu bringen, wer hier wem ans werte Bein pinkeln wollte.

Zwischenzeitlich war der Leichnam Sergius' gefunden worden. Mit einer eher zurückhaltend angekündigten Seebestattung wurde er auf seine letzte Reise über den Vosk in die Stadt des Staubes geschickt. Die Atticer waren durch ihren Verlust sichtlich angeschlagen. Gelasia rechnete jeden Augenblick damit, dass Aurora neben ihrer Sklavin zusammen brechen und in den Vosk fallen würde, was sie nun nicht bedauert hätte. Aber diese Attica war zäh und hielt sich tapfer, allen Widrigkeiten zum Trotz.



Gelasia registrierte mit einiger Verwunderung, dass wohl kein Kastenangehöriger der Krieger Sergius die letzte Ehre erwies. Zufall? Kalkül? Sie hatte eine Gänsehaut, als sie die Bestattung verließ. Denn wenn schon die rote Kaste im Angesicht des Todes nicht mehr zusammen hielt, was würde das für Victoria bedeuten, wo es doch in der Stadt schon an allen Ecken und Enden spürbar brodelte?


Der Unmut in der Bevölkerung wuchs. Insbesondere in der Unterstadt schwelte es, und es war nur eine Frage der Zeit, wann die Bewohner notfalls mit Gewalt Antworten auf ihre Fragen einfordern würden. Waren es doch sie, die am meisten darunter zu leiden hatten, dass sie neben der finanziellen Belastung durch die Fenstersteuer Söhne, Brüder, Väter und Gefährten durch den unglückseligen Kampf gegen die Piraten, die wohl doch keine waren, verloren hatten. Die Überzeugung wuchs, dass sie nicht für den Heimstein gekämpft hatten, sondern unter einem Vorwand auf den Vosk gelockt worden waren. Hatte man sie nur dezimieren wollen? Ihnen ihre Lebensgrundlagen und Sicherheiten nehmen wollen? Nun waren es Frauen, Kinder und Alte, die mit den wenig überlebenden Männern um ihr Dasein bangen mussten.

Von einer Nacht auf die andere zierten Schmierereien die Wände. Tasdron war das Ziel des verbalen Angriffs, der deutlich unter die Gürtellinie ging. Irgendjemand musste also die Wahrheit wissen, und es schien so, als ob der ein oder andere die Machenschaften durchschaut hatte. Denn genauso plötzlich über Nacht verließen einige bekannte Gesichter die Stadt. Der Prätor trat überraschend von seinem Posten zurück und verschwand mitsamt seiner Gefolgschaft. Valerius, einst das erste Schwert der Stadt, war von einem auf den anderen Tag nicht mehr gesehen. Corin, der Heiler der Unterstadt, sowie einige andere Nordleute schienen regelrecht die Flucht nach vorn anzutreten. Es gab Gerüchte, dass die Nordleute zukünftig einen schweren Stand in Victoria haben würden, und das, obwohl die Stadt doch eigentlich für ihre Kulturvielfalt bekannt war. Es zeichnete sich ab, dass Fäden gezogen wurden, die Stadt einem Wandel zu unterwerfen, der für viele nichts Gutes verhieß. Von Missgunst, Neid und Ärger geschwängerte, dunkle Wolken hingen schwer über der Stadt und verbreiteten Angst und Sorge, wie Victorias Zukunft aussehen würde.


Das Liebesfest sollte die erhitzten Gemüter wohl beruhigen, und von den internen Problemen der Stadt ablenken. Was für kurze Zeit auch wirklich nicht schwer fiel, denn die ganze Stadt schien sich für einige Tage in einem Rauschzustand der Hormone zu befinden. Mutige Bürger konnten sich gegen die Gladiatoren des Ludus beweisen, aber natürlich nur mit Holzschwert. Da ging man kein Risiko ein! Und liebesbedürftige, gut betuchte konnten sich eine Sklavin ersteigern. 


Dann aber explodierte der schwelende Vulkan mit einer Macht, den wohl selbst die erfahrensten Kriegstreiber so nicht erwartet hätten. Ein Aufstand in der Unterstadt ergriff ganz Victoria wie ein Lauffeuer. Brandschatzend und mordend zog ein Mob aufgebrachter Bürger durch die Stadt. Tasdron fiel. Und mit ihm Victoria. Das einst blühende Aushängeschild am Vosk lag nach diesem gewaltigen Flächenbrand in Schutt und Asche. 

Gelasia hatte Glück im Unglück. Kurz bevor der Aufstand ausbrach, hatte sie ihre Herrschaft erneut auf den Landsitz zu begleiten. So entkamen sie alle dem Lynchmob, der Victoria heimsuchte. Als sie in die Stadt zurück kehrten, standen sie vor den Trümmern ihrer Existenz. Der Ludus war bis auf die Grundmauern nieder gebrannt worden. Kein Stein befand sich noch auf dem anderen. Dem chaotischen Zustand in der Stadt war es wohl zu verdanken, dass nicht auch noch sie selbst dem Unmut der Aufständischen zum Opfer fielen. 

Gelasia bemühte sich, die Situation zum Vorteil des Hauses Crispus auszunutzen. Sie wies die Sklavinnen an, überall anzupacken, wo Not am Mann war. Schutt wegräumen, Besen und Putzlappen schwingen, und was eben sonst noch so anfiel. Sie selbst vermittelte das Bild der unendlichen Großzügigkeit der Crispusse, indem sie Unmengen Suppe und Brot an die fleißigen Helfer und auch einige hungrig aussehende Bürger austeilte. Mit den einfachsten und günstigsten Mitteln zauberte sie ein gut schmeckendes, nahrhaftes und energiereiches Mahl. Das war es, was die Bürger Victorias in diesem Moment am allernötigsten zu brauchen schienen. Jemand, der sich kümmerte, und ihnen zu essen gab. Selbstverständlich landeten jedoch die wenigen Fleischvorräte, die sie wie einen Schatz hütete, ausschließlich auf den Tellern ihrer Herrschaften. 

Das Austeilen der Suppe gab ihr die Gelegenheit, sich umzuhören. Die wildesten Spekulationen kursierten durch die Stadt. Einige behaupteten, der Aufstand sei gar nicht von der Unterstadt aus angezettelt, sondern durch Hochkastige angestachelt worden, um Tasdron zu ermorden. Es hieß sogar, die Priesterkönige selbst hätten sich unter die Aufständischen geschmuggelt, um Tasdron aus dem Weg zu räumen, weil er ihnen wegen Ketzertum ein Dorn im Auge gewesen sei. 

Äußerlich gesehen erwachte Victoria in den nächsten Wochen langsam wieder zum Leben. Wie ein zaghaftes Pflänzchen, das sich seinen Weg durch die Erddecke bahnt, arbeiteten sich die Bewohner Victorias durch den Schutt der Stadt. Bald brachen durch die dunstige Staubwolke, unter der Victoria wie unter einer Glocke gelegen hatte, die Strahlen der Sonnen wieder hindurch. Es war wie ein Lichtblick am Ende eines langen, dunklen Tunnels, der Hoffnung gab. Auch wenn die inneren Schäden noch lange der Heilung bedurften, und Narben zurück bleiben würden.

Die Stadt hatte zwar an Fläche eingebüßt, denn einige Teile waren zu sehr den Bränden zum Opfer gefallen, als dass man sie zum jetzigen Zeitpunkt bereits wieder hätte aufbauen können. Aber neuer Mut wuchs mit jedem Stein, der neu gesetzt wurde. Es würde Veränderungen geben, das war sicher. Doch welche Tragweite diese haben würden, stand noch in den Sternen. Gelasia war gespannt und besorgt zugleich, was das für sie selbst bedeuten würde. Sie konnte nur allzu deutlich spüren, dass sie nicht die einzige war, die so empfand. 
Eine Erinnerung aus besseren Tagen
Manchmal, wenn sie nachts wach lag, wünschte sie sich den alten Zustand zurück. Als sie auf dem Landsitz war, und den Sklavinnen Beine gemacht hatte, jeden noch so kleinsten Winkel auf Hochglanz zu polieren. Damals waren die Strukturen noch klar gewesen. Keiner hatte gezweifelt. Es war bestimmt nicht alles Gold gewesen, was glänzte, aber man hatte sich auf gewisse Weise in Sicherheit wiegen können. Jetzt war diese Sicherheit wie weg gewischt. Niemand konnte wissen, was morgen sein würde.



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