# 27

Nach einem kurzen Zwischenstopp in Lydius zur Berichterstattung bei ihrer Herrin Lucia befand sich Gelasia kurze Zeit später ein weiteres Mal auf Reisen. Hoch im abgelegenen Norden lag das auserkorene Reiseziel: Helvegen. Dort, so war die Hoffnung, gäbe es eine weitere Spur von Lucias verschwundener Schwester Cecilia.

Mit auf der Reise befanden sich Egil und Mick. Das reisende Trio hätte nicht seltsamer sein können: Egil, der blutrünstige Wachmann aus dem Norden, der am liebsten bei sich jeder nächstbietenden Gelegenheit einen Schädel seiner Sammlung beifügen wollte; Mick, der bei jeder Sklavin das Stottern anfing und so viel Respekt vor Egil zu haben schien, dass Gelasia sich nicht gewundert hätte, wenn er sich einmal hinter ihrem Rockzipfel vor Egil versteckt hätte; Gelasia, die tüchtige Topfsklavin, die aber immer ihren riesigen Kochlöffel zur Hand hatte, um so manch ihrer schnoddrigen Bemerkungen fuchtelnd zu unterstreichen.


Von Thassa aus setzten sie über nach Helvegen. Als sie im dortigen Hafen endlich wieder einen Fuss an Land setzen konnten, war Gelasia erleichtert. Denn die Schiffsfahrt war ihr nicht immer gut bekommen. Das stetige Hin- und Herpendeln des Schiffs im Wasser sorgte bei ihr für eine gewaltige Magenverstimmung, was ihr ordentlich gegen den Strich ging. 

Sie steuerten direkt das grösste Gebäude in dem kleinen beschaulichen Dorf an. Gelasia war sonst die Lehmbauten aus dem Süden gewöhnt, die mit ihren prächtigen Fassaden ein buntes Stadtbild zauberten. Aber hier im Norden waren die Gebäude ausnahmslos aus Holz erstellt, und alles schien grau in grau, wären da nicht die vielen Gräser gewesen, die selbst zwischen den eng anliegenden Dielen, die zur Befestigung der Wege ausgelegt worden waren, doch immer noch einen Weg zum diesigen Nordlicht hin zu finden schienen. Ausserdem entdeckte sie vor dem ein oder anderen Gebäude kleine Gärten, in denen allerlei Gemüsesorten gezüchtet wurden. Zum ersten Mal sah Gelasia auch diese seltsam anmutenden, mindestens zwei Mann hohen Steine, die mit kreisrunden Löchern ausgehöhlt waren. Der Zweck dieser Steine war ihr völlig unklar.


In der grossen Halle war es angenehm wohlig warm dank eines grossen Feuers, das in der Mitte vor sich hin loderte. Bei all den Holzbauten fand es Gelasia erstaunlich, dass die Nordleute so mutig waren, ein offenes Feuer inmitten ihrer Holzhütten brennen zu lassen. Brandschutz wurde hier nicht gross geschrieben. Oder aber, sie liebten einfach das Risiko. Wobei anzumerken war, dass die Holzhütten, sobald man das Innere betrat, doch eher Holzpalästen glichen, denn was von aussen eher bescheiden wirkte, eröffnete im Inneren riesige Räume, die mit allerlei furchterregenden Dekorationen wie Tierschädel und Kampfschilden ausgestattet waren.

Empfangen wurden sie von Lovis, der Gefährtin des Jarls Sigurd, sowie Brunhilda, ihres Zeichens eine kämpferische Schildmaid. Egils Aufmerksamkeit galt schon bald Brunhildas Waffen, über die er sie mit glühender Leidenschaft ausfragte. Darüber hinaus hatte er sogar glatt ihren eigentlichen Besuchsgrund vergessen, so dass Mick das Wort mit Lovis führte. Das kleine handgemalte Abbild, auf dem Cecilia porträtiert war, wies erstaunliche Ähnlichkeit mit Lovis auf. Zumindest, wenn man sich die Haare und die Kleidung anders vorstellte. Und tatsächlich, im Laufe des Gesprächs gab sich Lovis als Cecilia zu erkennen! Endlich! Ihre lange Reise hatte ein Ende. Fast, zumindest.


Sie statteten den Nordleuten einen detaillierten Bericht über Lucias missliche Lage in Lydius ab, und Lovis-Cecilia sagte ihnen zu, über alles Gesagte nachzudenken und ihnen ihre Entscheidung mitzuteilen. Am nächsten Tag wurde Mick mit einer Botschaft für Lucia zurück geschickt, während Egil und Gelasia eingeladen worden waren, mit einer Gesandtschaft des Dorfes Helvegen das grosse, zweitägige Mittsommerfest in Fensalir zu besuchen. Gelasia war zunächst begeistert, doch die Begeisterung schlug alsbald in Grausen um. Denn sie musste dafür ihre Kleidung wechseln. Nicht nur, dass die Reisegewänder einer dringenden Wäsche zum Opfer fielen, sondern es sollte ihre südliche Herkunft nicht allzu sehr auffallen. Sie wurde mit fellbesetzter Kleidung für Bonds, wie man hier im Norden die Sklavinnen nannte, ausgestattet, und das ungewohnte Kitzeln der Fellteile, die nun um ihre Hüften fielen, raubten ihr beinah den letzten Nerv.


Allzu lange konnte sie jedoch nicht darüber nachdenken, denn die nächsten Stunden waren davon geprägt, beim Zusammenstellen und Verschnüren des Reisegepäcks zur Hand zu gehen. Und ehe sie es sich versah, stand sie bereits wieder auf einem schaukelnden Schiff. Glücklicherweise dauert diese Überfahrt jedoch nicht lange, so dass eine weitere Magenverstimmung dieses Mal ausblieb. In Fensalir wurden sie schon erwartet, und die gesamte Siedlung war an allen Ecken und Enden mit Kranzgebinden geschmückt. Die freien Frauen trugen ausnahmslos weisse Kleider, und sollten einem Brauch nach im Schein der Fackeln Blumen pflücken, während die Männer in der langen Halle einem Gelage frönten. 


Gelasia war mit den nordischen Bräuchen und Sitten vollkommen überfordert, und so war sie regelrecht dankbar, als sie Egil nach einer tollkühnen Bemerkung ihm gegenüber kurzerhand zum Leviten lesen nach draussen beförderte. Damit endete der Abend zwar jäh für sie, aber immerhin kam sie so nicht in Erklärungsnöte ihrer Herrin Lucia gegenüber, wenn einer der anwesenden Männer doch noch auf die Idee gekommen wäre, wie bei den anderen Bonds Hand an sie anzulegen. Schliesslich war sie noch Jungfrau, und hatte keineswegs die Absicht, als sexbesessene Bond zu enden, denn fast nichts flösste ihr mehr Furcht ein, als der Gedanke, sie könne darüber ihre hoch geschätzten Kochrezeptgeheimnisse vergessen.

Für den nächsten Tag der Festlichkeiten war eine ganz besondere Zeremonie angekündigt worden. Gelasia hatte keine Vorstellung davon, was sie erwartete, und wenn sie es alle vorher gewusst hätten, hätte wahrscheinlich der ein oder andere Gast nach einer lausigen Ausrede gesucht, dieser fern zu bleiben...

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